Die unsichtbaren Herrscher: Edward Bernays‘ Propaganda, 1928, neu gelesen[1]
Demokratie ist die Herrschaft des Volkes (demos, das Volk, kratos,die Herrschaft, aus dem Altgriechischen) – so dachten und denken wir. Wir, die vielen Individuen eines Volkes[2], sind der Souverän und bestimmen in Gestalt der repräsentativen Demokratieform die Geschicke des Landes. Ist eine solche Auffassung nicht mehr als ein Narrativ, ein lächerlicher Irrtum?
„Die herrschende Minderheit[3] (in der Demokratie, d. Blogger) hat ein mächtiges Instrument entdeckt, mit dem sie die Mehrheit beeinflussen kann. Die Meinung der Massen ist offensichtlich formbar, sodass ihre neu gewonnene Kraft in die gewünschte Richtung gelenkt werden kann. … Propaganda (dient) den unsichtbaren Herrschern als Mittel zur Durchsetzung.“[4]
Bei diesen Worten eines Neoliberalen fühlt man sich an den kommunistischen Denker Antonio Gramsci erinnert, der forderte, die Marxisten müssten sich um die Diskurshoheit, die kulturelle Hegemonie in einem Lande bemühen, um herrschen zu können. Das Bild des Bürgers, der zum Guten und Richtigen erzogen werden muss, und der besser-wissenden Elite, die dies bewerkstelligen muss, drängt sich auf. Dieses Bild findet sich auch bei Bernays.
„Wenn eine Gruppe von Menschen glaubt, eine Wahrheit erkannt zu haben, dann ist es nicht nur ihr Recht, sondern geradezu ihre Pflicht, diese Wahrheit zu verbreiten. … die Maßnahmen (müssen) übergreifend und kontinuierlich stattfinden. In der Summe steuern sie den Geist der Massen auf ähnliche Weise, wie die Befehlsgewalt beim Militär die Soldaten physisch unterwirft. … Mitunter reagieren … (die Manipulierbaren) störrisch auf Beeinflussungsversuche und lassen sich selbst durch die vereinten Kräfte von Gesetzgeber, Medien und Bildungssystem nicht umstimmen.“ [5] [6]
„Ich will sie verstehen, die neue Zeit, da muss ich die alten Bücher lesen“, sagt Tante Agnes in der kurzen Erzählung „Vom Bücherlesen“.[7] Kann man ihr zustimmen?
# unsichtbare Herrscher, Masse, Eliten, Propaganda, Demokratie, Bernays, Gramsci
[1] Bernays, E., Propaganda – Die Kunst der Public Relations, Deutsche Erstausgabe, vierzehnte Auflage 2023, Orange Press Berlin. Aus dem Amerikanischen von Patrick Schnur
[2] Das Staatsvolk wird heute mehrheitlich anders definiert als zu früheren Zeiten, nicht mehr ethnisch.
[3] Hervorhebung vom Blogger.
[4] Bernays, E., a.a.aO., S. 27.
[5] Bernays, E., a.a.O., S. 29.
[6] Und Bernays, E., a.a.O., S. 31.
[7] „Vom Bücherlesen“, in: Luise Link, Erzähl Dir ZeitGeschichten, Twentysix 2019, S. 344.
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