Utopie oder die Realität – in unserer „ideologischen“ Zeit wieder eine entscheidende Frage
Die Richtschnur des Handelns ist eine Grundentscheidung.
Wir Älteren kommen aus einem pragmatischen Zeitalter. Politik als die Kunst des Möglichen. Die Realität wurde analysiert, als faktisch existent angenommen. Auf dieser Basis wurde gestaltet, aber nicht umgeworfen. Das Ergebnis: Reformen. Oder das Positiv-Bestehende wurde gesichert.
„Das Tempo der Demokratie ist das Schneckentempo.“ Helmut Schmidt
Ganz anders der Utopist. Seine Idee steht über allem, steuert seine Handlungen. Die Medien ziehen nach. Nicht „schreiben, was ist“ (Augstein), schreiben, was sein soll, „Haltung“ erzeugen. Haltungsjournalismus, auf den die „Leitmedien“ so stolz sind. Alles ist auf Veränderung der Welt und des Menschen ausgelegt. Der Utopist neigt zu Intoleranz gegenüber anderen Meinungen. Er fühlt sich zu dieser Intoleranz berechtigt, ja geradezu verpflichtet, denn – er weiß es ja besser aufgrund seiner überlegenen Ideologie, seiner Vorstellung von einer zukünftigen besseren Welt.
Die historischen Beispiele für Utopien, die durchaus nicht zu höherer Glückseligkeit bei denen führten, für die sie gemeint waren, sind zahlreich: Die Herrschaft der Guillotine in der Terrorphase der Französischen Revolution, der Totalitarismus im kommunistischen Machtbereich des Ostblocks, die DDR unter der SED, die Kulturrevolution der Roten Garden in China unter Mao[1].
„Utopien haben ein ambivalentes Gesicht. Sie können zum Handeln motivieren, auch die Zukunft so festschreiben, dass grundlegende Freiheitsrechte des Menschen missachtet werden. Dies gilt gleichermaßen für politisch-säkulare Utopien wie für religiöse und wissenschaftlich-technische.“[2]
„Soll jeder einer vermeintlichen Wahrheit zustimmen, sie als Leitschnur seines Verhaltens akzeptieren, kann der Pfad zwischen Idealismus und Totalitarismus recht schmal sein“ …[3]
[1] Die Rassenlehre der Nationalsozialisten führte in ihrer Konsequenz zum Holocaust, ist aber keine Utopie, da sie nicht von einer weltverbessernden Idee getragen wurde. Deshalb wird sie in der Aufzählung nicht genannt.
[2] Hempelmann, R., in: Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Lexikon. Utopien; 4.4.2019, 8 Uhr, zitiert in: Luise Link, Utopisch. Ideen und ihre Geschichten, Twentysix 2020, Nachwort, S. 242.
[3] Luise Link, ebda.
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