„Deutschland gehört auf die Couch!“
Diese Diagnose attestierten Hans-Olaf Henkel[1] und Joachim Starbatty[2] 2016 der deutschen Gesellschaft unter Angela Merkel. Der Untertitel des Buches lautete: Warum Angela Merkel die Welt rettet und unser Land ruiniert.
16 Jahre war die CDU-Bundeskanzlerin an der Macht, sie hinterließ ein strukturell verändertes Land. Die „Alternativlosigkeit“ aufgrund „wissenschaftlicher“ Erkenntnisse, die nicht mehr zu hinterfragen sind, hinterfragt werden können – so ließe sich die wohl bedeutendste Transformation der politischen Landschaft mit und nach ihr zusammenfassen.
Mit eindeutigen, unwiderlegbaren Erkenntnissen der Wissenschaft zieht naturgemäß die Elite[3], die im Besitz der Wahrheit Stehenden, unweigerlich herauf. Dort die irrationalen, eher dummen Schafe, das Staatsvolk, hier die alles Besserwissenden.
Die DDR, einer unserer Vorgängerstaaten, fußte auf dem „wissenschaftlichen Sozialismus“; das hieraus abgeleitete Motto las sich als „Die Partei hat immer recht!“ 2024 lautet die Diagnose für die deutsche Gesellschaft in einem Artikel der Neuen Züricher Zeitung „passiv-aggressiv“ – eine psychische Störung. Der Titel des Artikels von Alexander Grau:
„Jeder sitzt in seiner Blase und ist gekränkt, weil es auch noch andere Meinungen gibt: willkommen in der passiv aggressiven Gesellschaft“ [4]
Aus dem Artikel
„Zu Reizthemen wie Migration, Ukraine, Klima oder Populismus ist ein vernünftiger und besonnener Austausch zwischen verschiedenen Meinungsmilieus kaum noch möglich. …
Doch nicht nur die Art zu kommunizieren, auch das politische Handeln selbst kommt, wie etwa der Umgang der deutschen Bundesregierung mit dem Heizungsgesetz, dem Atomausstieg oder der AfD zeigt, zunehmend verstockt und autoritär daher. Die Verbotskultur einer Nancy Faeser ist der besonders unangenehme Ausdruck dieses verklemmten und selbstgerechten Politikstils. …
Spätestens seit Corona ist man zunehmend dazu übergegangen, Kritiker der offiziellen Politik entweder gar nicht zu Wort kommen zu lassen oder von vornherein so zu kontextualisieren, dass klar ist, was man von ihnen zu halten hat – ein klassisches passiv aggressives Verhaltensmuster. …
(.) es handelt sich um ein Weltbild, das den Diskursunwillen zur eigenen Grundlage erhoben hat. Konstituierend ist dabei die Überzeugung, der alleinigen Wahrheit zum politischen Recht zu verhelfen. Politik wird nicht als ein Prozess aufgefasst, in dessen Verlauf verschiedene Interessen, Motive, Überzeugungen oder Weltbilder moderiert und aufeinander abgestimmt werden, sondern als Projekt zur Durchsetzung des Wahren. Für diese Ideologie hat Kommunikation allenfalls noch strategischen Wert. …
Insbesondere im sich aufgeklärt wähnenden links-liberalen Politmilieu wird Politik nicht mehr als Feld der Diskussion, der Debatte und der demokratischen Entscheidungsfindung gesehen, sondern als eine Art wissenschaftliches Verfahren. …
Der passiv aggressive Stil, der zunehmend unsere Politik bestimmt, ist hingegen das Ergebnis der absurden Annahme, es gebe so etwas wie wissenschaftlich oder sogar moralisch objektiv richtige Entscheidungen.“
Deutschland auf die Couch?
oder
den neuen/alten Wahrheiten eine Gasse?
[1] Von Anfang 1995 bis Ende 2000 war er Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), von 2001 bis 2005 Präsident der Leibniz-Gemeinschaft. Von 2001 bis 2012 lehrte Henkel als Honorarprofessor an der Universität Mannheim.
[2] Autor mehrerer bekannter Bücher zu Wirtschaft und Gesellschaft.
[3] Lateinisch, die Auserwählten.
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