Das beste Deutschland aller Zeiten oder Das ist jetzt mal weg?
Früher war alles besser, finden viele Ältere. Zugegebenermaßen – sie können es beurteilen, sie waren früher schon da und haben, anders als die Jungen, den Vergleich.
Zum Beispiel der Kapitalismus
Den nannte man früher in Deutschland eher Soziale Marktwirtschaft. Und diese gezähmte Art von Kapitalismus hatte viele Elemente, die Otto Normalverbraucher[1] heute bei ihm irgendwie vergeblich sucht. Strenge Wettbewerbsregeln – Monopole, Oligopole, Preisabsprachen, marktbeherrschende Stellung, verboten oder überwacht.
Vor allem aber die Trennung von wirtschaftlicher und politischer Macht. Wenn nämlich beides plötzlich – durch NGOs, die eher zu GOs mutiert sind, mächtige Stiftungen, die über Geld-Pumpen ungeheuren Einfluss ausüben, den too-big-to-fail Grundsatz, der die Großen vorm Scheitern schützt – auf wundersame Weise vereint ist, geraten die freiheitlichen Versprechen der Marktwirtschaft wie beispielsweise
- · Konsumenten bestimmen über ihre Nachfrage, was produziert wird
- · Arbeitnehmer arbeiten dort, wo sie es sich aussuchen.
- · Ressourcen werden über den Marktmechanismus sparsam allokiert, nicht „Sinnvolles“ wird ausgemustert
unter Druck.
Hört man den Predigern der Planwirtschaft wie der populären Journalistin Ulrike Herrmann zu, scheinen diese Aspekte – wegen des Klimawandels – völlig vergessen zu werden. Aber die Planwirtschaft hatte, daran sei zu erinnern, im real existierenden Sozialismus bereits ihre Chance. Und sie hat sie kräftig vergeigt.
Sieht auf den ersten Blick so aus, dass wir uns in einem unauflöslichen Dilemma und einer doppelseitigen Quetsch-Zange zwischen Neoliberalismus und der baldigen Wiederkehr des planwirtschaftlichen Sozialismus befinden.
Der Liberalismus, wie er sich heute in seiner Neo-Form präsentiert, hat viele negative Elemente:
- · „Machtklumpen“, die sich der demokratischen Kontrolle völlig entziehen.
- · „Philanthropen“, die über ihre im Geld schwimmenden Stiftungen die öffentliche Meinung lenken und in Politik und Gesellschaft Einfluss nehmen.
- · (N)GOs, die gar Umstürze orchestrieren sollen (wie man es der Soros-Stiftung nachsagt)?
- · Marktbeherrschende Strukturen in vielen Feldern der Wirtschaft.
- · Und so riesige Unternehmen, dass sie, wenn sie im Wettbewerb eigentlich gescheitert sind, von der Allgemeinheit und Steuergeldern gerettet werden müssen (too-big-to-fail).
- · Die Ökonomisierung aller Wirtschaftsbereiche, aber auch der Aktivitäten, auch jener, die früher davon ausgenommen waren, wie beispielsweise die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern (wie Wasser, Gesundheitseinrichtungen, Schule usw.), die selbstverständlich als hoheitliche Aufgabe in staatlicher Hand war. Die Universitäten waren in Forschung und Lehre hoheitlich; Drittmitteleinwerbung und damit Einflussnahme der Wirtschaft auf die Forschung waren ein Fremdwort.
- · Und übrigens: Unsere Wirtschaft war nach zwei Katastrophen streng auf Frieden programmiert: Kriegsgewinnler[3] hatten sogar mit Gefängnis zu rechnen; keine Waffen in Kriegsgebiete usw. usw.
Was nicht vergessen werden sollte: Nicht wenige Kritiker behaupten, die Demokratie im neoliberalen Staat sei eine Fiktion; in Wirklichkeit regiere der Tiefe Staat, eine Allianz von Politik, Geheimdiensten und Wirtschaft …
Auf der anderen Seite materialisiert sich die heraufziehende Planwirtschaft, mit allen negativen Begleiterscheinungen, die der historisch Interessierte kennen könnte:
- · Mangelwirtschaft
- · Befehlswirtschaft von oben nach unten
- · Einschränkung bis Aufhebung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer
- · Tendenz zu immer stärkerer Reglementierung, weil es keine „natürliche“ Zielharmonie in den immer größer werdenden Gesellschaften und Staatenverbünden gibt
- · Machtkonzentrierung in den Händen der „Elite“, die die Ziele definiert
- · Unmöglichkeit der (repräsentativen) Demokratie
Bei beiden Realitätsentwürfen, dem Neoliberalismus und dem planwirtschaftlichen Sozialismus, ließe sich die Liste der „Fehler“ weiter fortsetzen.
Welche ersten Lösungsansätze fallen Otto Normalverbraucher ein?
- · Die Fehlentwicklungen des Kapitalismus wieder zurückdrehen?
- · Player nicht so groß werden lassen, dass sie aus dem Wettbewerb ausscheiden können, too-big-to-fail werden? Steuergesetze? Wettbewerbsregeln? Zerschlagung und Entflechtung zu großer Wirtschafts-Imperien, wie damals der IG-Farben?[4] [5]
- · Prüfen, ob all die ausgerufenen Notstände, die zu bestimmtem Handeln zwingen, wirklich welche sind?
- · Die, die dann noch übrigbleiben, durch kluge Anpassung[6] oder technologische Offenheit in den Griff zu nehmen?
Auch bei den Lösungsansätzen ließe sich die Liste wohl beliebig fortsetzen.
Unsere Politiker, Philosophen, Ökonomen, Rechtswissenschaftler, Professoren könnten sich eigentlich mal wieder an die Arbeit machen …
[1] Dieser Post repräsentiert die Gedanken eines interessierten und angemessen belesenen Laien.
[3] https://www.welt.de/kultur/history/article13802168/Ihre-Staatsnaehe-wurde-den-Krupps-zum-Verhaengnis.html „Gleichwohl beteiligte sich der Konzern, der erst seit 1943 unter der alleinigen Führung von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach stand, vorbehaltlos an der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft und dem damit verknüpften System der Zwangsarbeit.“ Alfried Krupp wurde zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt.
[4] https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1977_2_3_kreikamp.pdf
[5]Ebda: „Ökonomische Maßnahmen sollten nach den anglo-amerikanischen Vorstellungen die politische Friedenssicherung gegenüber dem besiegten Deutschland ergänzen: … die Auflösung übermäßiger wirtschaftlicher Machtkonzentration, d. h. die Entflechtung großer Konzerne in eine Vielzahl kleinerer selbständiger Unternehmen ohne eine grundlegende Veränderung der Eigentumsverhältnisse. …Von diesen ordnungspolitischen Vorstellungen waren vornehmlich die Großkonzerne von Kohle und Stahl im Ruhrgebiet sowie der Chemiegigant I. G. Farbenindustrie A. G. betroffen, der mit 214 in- und 248 ausländischen Beteiligungen an Unternehmen unterschiedlicher Sparten außerordentlich weitgehend verflochten war und dadurch zumindest die Chemieindustrie Deutschlands eindeutig beherrschte.“
[6] So fragt sich der Normalbürger oft, warum in Zeiten des Überflusses an Regen nicht effektiver für trockene Zeiten Reservoirs angelegt werden?
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