Wokismus[1] und die Folgen
René Pfitzer[2], eher aus dem linken Spektrum und Alexander Wendt[3], eher aus dem rechten Spektrum, haben jeder ein Buch über sie geschrieben: über die Woken, die Erwachten – oder gar die Erleuchteten? Die Woken, die Wohlgesinnten, untersuchen Vergangenheit und Gegenwart, klopfen sie ab auf reale oder vermeintliche Unterdrückung und Benachteiligung von Gruppen[4]. Ihr Ziel: Zu canceln, auszulöschen oder zu verändern, was diese Benachteiligung gefördert hat, gefördert haben könnte oder noch fördert. Da entsteht natürlich kein Mangel an ständiger Veränderung.
Astrid Lindgrens Bücher müssen umgeschrieben werden, Jim Knopf betrifft es auch, im Außenministerium wird schon mal das Bismarck-Zimmer umbenannt. George Orwell, der Analyst und Prophet des Autoritarismus und Totalitarismus, soll überprüft werden, ob man in irgendeinem verborgenen Winkel irgendetwas in Richtung Antisemitismus bei ihm finden könnte.
In „Sturm der Liebe“ wird in Dialogen dann und wann eifrig gegendert. Ob das realistisch ist?
Der Wokismus ist wohl überall angekommen, auch in der entlegenen Provinz …
Eine verschlafene kleine Stadt mit einer hübschen kleinen Kinderbühne. Oma, Mama und Enkelkinder freuen sich auf Rumpelstilzchen.
Die Theaterdirektorin begrüßt die Zuhörer.
„Heute seht ihr Humpelhilzchen.“
Zwei Kinder rufen sofort: „Nicht Humpelhilzchen, Rumpelstilzchen.“
Die Direktorin fährt ungerührt mit der biografischen Darstellung fort.
„Humpelhilzchen humpelt, deshalb wurde es in seiner Kindheit gemobbt und ging in den Wald.“
Häh? Muss, wo Rumpelstilzchen draufsteht, nicht auch Rumpelstilzchen drin sein?
Die Kostüme sind traditionell, Freude für die Kinder. Der Müller verdreht alle Worte, hat augenscheinlich einen Knoten im Knopf, die Aussprache des Königs ist für einen Schauspieler mindestens gewöhnungsbedürftig, das Humpelhilzchen, das sich selbst aber dann doch auch mal Rumpelstilzchen nennt und damit für weitere Verwirrung sorgt, kommt ansonsten mehr oder weniger erwartet daher. Dass es der Königin ihr neugeborenes Kind wegnehmen will, hat nun aber nachvollziehbare Gründe. Es ist eben so einsam und sucht einen Spielgefährten – kann man fast verstehen, oder?
Als die mittlerweile zur Königin aufgestiegene Müllerstochter im lauten Selbstgespräch Namen für das bisher im Erscheinungsbild männliche Wesen sucht, nennt sie vorwiegend Frauennamen. Der König verschenkt als neugeschaffener Philanthrop die Hälfte des gesponnenen Goldes, das Humpelhilzchen wird – Friede, Freude, Eierkuchen – Finanzminister. Alle haben sich lieb.
Ist die Welt so? Dient das Umschreiben traditioneller Vorbilder der Wahrheitsfindung, schafft man so bessere „Erziehung“ oder ist es Indoktrination im Namen des Guten, die bei nicht wenigen Reaktanz, Ablehnung hervorrufen wird?
Ob die kleine hübsche Bühne die Verwandlung ohne kräftige Subventionen und Gelder bis zur nächsten Saison überleben wird?
[1] Siehe Post vom 26.7.2023.
[2] René Pfister, Nur ein falsches Wort: Wie eine linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht. Spiegel Buchverlag 2022
[3] Alexander Wendt, Verachtung nach unten. Wie eine Moralelite die Bürgergesellschaft bedroht – und wie wir sie verteidigen können, Lau Verlag 2024
[4] Dies ähnelt durchaus der „Parteilichkeit“ Lenins oder dem „emanzipatorischen Interesse“ der Kritischen Frankfurter Schule.
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